Als Freier Redner werde ich immer wieder gefragt, ob ich bei Hochzeiten (Trauungen) und Trauerfeiern bereit bin, ein „weltliches“ Ritual anzubieten. Auf näheres Nachfragen erfahre ich dann: „so ähnlich wie in der Kirche, doch bitte ohne Gott und den ganzen religiösen Kram.“
Eine Gewissensfrage. Sage ich ja, bekomme ich den Auftrag. Sage ich nein, bekommt ein Kollege den Auftrag. Ich arbeite auf Honorarbasis und bin zum großen Teil von den Honoraren abhängig.
Was ist ein Ritual? Bei Google lesen wir: Rewi-Grundbegriffe 10 -11, Ritual (/Ritual)
„Es gibt drei verschiedene Modelle, die den Begriff Ritual versuchen zu erklären.
1) das funktionalistische Modell
Hier ist das Ritual solidarisierend, kontrollierend, hierarchisierend. Es dient der speziellen Funktion, die Gemeinschaft über das Individuum zu stellen. Es besteht also ein soziologischer oder auch ein psychologischer Ansatz.
2) das konfessionalistische Modell
Diese Modelle zum Ritual haben einen religiösen Ansatz. Das Ritual grenzt das Profane vom Sakralen ab, sie transzendieren also. Während des Rituals wird das Andere gezeigt, das jenseits der Welt liegt.
3) das formalistische Modell
Es wird nur die „Technik“ untersucht. Die Frage nach dem Sinn des Rituals wird nicht beachtet. Vielmehr die Sprache, Symbole oder Kommunikation. Allerdings besitzen die formalistischen Kennzeichen, wie Sprache, auch eine bestimmte Funktion. Folglich sind sie auch funktionalistisch.“
Da das konfessionalistische Modell für meine freien Angebote nicht in Frage kommt und das formalistische Modell sich im funktionalistischen Modell wiederfindet, bleibt in der Frage nach einem Ritual nur das funktionalistische Modell übrig.
Der Kern des funktionalistischen Modells ist: „die Gemeinschaft über das Individuum zu stellen.“ Das jedoch kommt nun meinen Hochzeitern niemals in den Sinn. Das ist auch nie für trauernde Hinterbliebene von Bedeutung. In beiden Aufgaben geht es um die ganz persönlichen Beziehungen zu dem Ereignis. Dafür werde ich engagiert und schließlich auch bezahlt. Ein Ritual ist also für beide Ereignisse total fehl am Platze.
Es bleibt also nur die Möglichkeit des Events, also eines Ereignisses. Dabei sind alle Möglichkeiten von „feierlich“ bis „leger“ offen.
Harald Juhnke hat gesungen:
Was ich im Leben tat, das war bestimmt nicht immer richtig.
Ich nahm, was ich bekam, und nahm manches nicht so wichtig.
Wenn ich auch ganz gewiss mich nicht von Schuld und Schwächen frei seh`.
Verzeih`n sie wenn ich sag:
I did it My Way!
Ich kenn` das Auf und Ab, den Jubel und die bitt`ren Tränen.
Ich stand auch oft am Rand, das brauch ich wohl nicht zu erwähnen.
Es ist für mich ein Trost, dass ich trotz allem nicht entzwei geh`.
Verzeih`n sie wenn ich sag:
I did it My Way!
Und dennoch denk` ich gern` zurück, ich hatte Glück, verdammt viel Glück.
Ich kann zu vielen Freunden geh`n, die sich sehr freu`n, wenn sie mich seh`n,
und ohne Groll den Satz versteh`n:
Verzeih`n sie wenn ich sag:
I did it My Way!
Ich hab` ein Publikum und darauf kann ich mich verlassen.
Es nahm und nimmt nichts krumm, ich kann das manchmal kaum noch fassen.
Ich hab auch eine Frau, an der ich jetzt beschämt vorbei seh`,
zu oft hat sie gehört:
I did it My Way! I did it My Way!
Ich frage mich als Freier Redner, welches Ritual wäre bei seinem Tod angemessen gewesen? Wäre es richtig, seinen Tod zu ritualisieren, also zu solidarisieren, kontrollieren, hierarchisieren?
Es ist die Flucht in die Rituale(Symbole) der Trauerfeier. Hier wird gleich gemacht, was niemals gleich war. Hier wird das Leben des verstorbenen Menschen in ein rituelles Korsett gepresst und der anonyme, alles gleichmachende Ritus, mit sozialer Billigung auch über das individuell gelebte Leben des Verstorbenen gestülpt. Rituale haben keine Inhalte, sondern sind ein Ablauf immer gleichbleibender formaler Vorgaben. Das Ritual zum Tode eines Menschen entkleidet ihn aller Individualität und konkretisiert das Postulat von der Gleichheit aller Menschen: Im Tode sind alle gleich! Welche Grundlage einer lebensfeindlichen Moral! Aber bitte im Leben nicht!
Es genügt nicht, dass der Mensch gestorben ist, auch seine eigene faszinierende Geschichte muss mit allgemeinen Phrasen getötet werden und wird im Ritual bedeutungslos gemacht. (Frits Staal, die Bedeutungslosigkeit von Ritualen)
Damit widerspricht das Ritual der allgemeinen menschlichen Erfahrung und besonders der praktischen Lebenswirklichkeit, dass Zukunft Herkunft braucht. Das Ritual ignoriert die Herkunft und zerstört damit die Fundamente der Zukunft. Das Ritual hat keine „Updats“ für die individuelle Zukunft, weil es die individuelle Herkunft ignoriert.